Vier Minderjährige, darunter drei People of Color, wurden Ende Dezember 2019 im Stadtzentrum von Halle (Saale) von einer Gruppe männlicher HFC-Fans rassistisch beleidigt und angegriffen. Gegen drei Beschuldigte wurde wegen Beleidigung, Nötigung, einfacher bzw. gefährlicher Körperverletzung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte Anklage erhoben. Im Juni 2023 stellte das Amtsgericht Halle (Saale) das Verfahren gegen eine Geldauflage von je 600 Euro an die Geschädigten ein. Für die Betroffenen, die dreieinhalb Jahre auf diesen Prozess warten mussten und teils noch immer unter den Angriffsfolgen leiden, ist das Ergebnis eine Farce.


Übereinstimmende Schilderung der Betroffenen

Am 21.12.2019 verbrachten die vier Jugendlichen im Alter von 15 bis 17 Jahren gemeinsam den Samstagabend in der Halleschen Innenstadt in der Nähe des Marktplatzes, als sie aus einer größeren Gruppe mittelalter , weißer deutscher Männer rassistisch beleidigt wurden. Die Männergruppe – offensichtlich zum Teil alkoholisiert – bedrohte die Minderjährigen zunächst mit Beschimpfungen wie „Tu nicht so deutsch“, „Scheiß Kanackenviecher“ oder „Pass auf, dass du nicht gleich auf die Schnauze kriegst“.


Die vier Jugendlichen reagierten mit Worten und forderten die Unbekannten auf, mit den Beleidigungen aufzuhören. Baschar M. (Namen geändert), einer der Jugendlichen, wurde das Basecap vom Kopf gerissen und unvermittelt mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Unter Angst und Schock versuchte Baschar M. zu fliehen. Während er wegrannte, stellte ihm eine scheinbar unbeteiligte Person ein Bein, woraufhin er so schwer stürzte, dass er sich die Hand brach und Schnittwunden erlitt. Am Boden liegend traten mehrere Angreifer auf seinen Rücken ein, was Hämatome und Schmerzen zur Folge hatte.


Auch der 15-jährige Dominik K. wurde attackiert und von mehreren Männern gegen einen Zaun gedrückt. Als er versuchte mit seinem Handy die Polizei zu rufen, biss ihm einer der Angreifer in den Finger und schlug ihm ins Gesicht. Karim K., ein weiterer Betroffener, der vor Gericht als Nebenkläger auftrat, wurde ebenfalls geschlagen.


Eine Zeugin intervenierte mit lauten Rufen „Hört auf!“ und „Stopp!“, woraufhin die Täter abließen und sich entfernten. Durch ihre schnelle Reaktion und die präzisen Täterbeschreibungen der Jugendlichen konnte die Polizei die Angreifer kurz darauf stellen. Sie fanden sie auf dem Weihnachtsmarkt am Glühweinstand. Bei der Festnahme leistete einer der Täter Widerstand gegen die Polizeibeamten.


Drei der Jugendlichen benötigten sowohl eine Notfallbehandlung als auch weitere regelmäßige medizinische Betreuung im Nachgang. Auch wenn glücklicherweise nicht alle vier körperlich verletzt wurden, sind die psychischen Folgen teils schwerwiegend. Alle vier Jugendlichen berichten von anhaltenden Traumata nach diesem Angriff.


Geringes Aufklärungsinteresse trotz anhaltender Folgen

Während des Prozesses schilderte Bashar M. auch eindrücklich die psychischen Belastungen, die der Angriff hinterließ. So erzählte er, wie nervös er vor Gericht war und von seiner Sorge, dass die Angeklagten Rache nehmen könnten. Trotz dieser Ängste berichtete er stolz von seinem kürzlich bestandenen Abitur und reflektierte: „Meine Familie und ich sind aus Syrien und dem Krieg geflohen, um hier in Frieden zu leben. Und dann wird man als Kind hier angegriffen.“


Dominik K. und die anderen Betroffenen sprachen ebenfalls von einem verminderten Sicherheitsgefühl im öffentlichen Raum. So beschrieb Dominik K., „dass man sich schon oft umdreht und guckt, wer da hinter einem läuft. Das gibt schon unsichere Gefühle.” Bashar fügte hinzu, dass er anfangs kaum alleine hinausging und viel Zeit benötigte, um seine Selbstständigkeit wiederzugewinnen. Sie alle beschrieben eine andauernde innere Wachsamkeit und steigende Anspannung in Situationen mit Triggerpotential.


Ursprünglich waren drei Verhandlungstage angesetzt, um Aussagen von Betroffenen, weiteren Zeuginnen und Polizeibeamten zu hören, doch der Prozess wurde auf zwei Tage verkürzt. Durch den erheblichen Abstand von dreieinhalb Jahren zwischen Tat und Gerichtsverhandlung hatten einige Zeuginnen und Betroffene Schwierigkeiten, bezeugte Tathandlungen konkreten Personen zuzuordnen. Mehrere Zeuginnen bestätigten aber, dass alle drei Angeklagten an der Attacke beteiligt waren. Daraufhin schlugen die Verteidiger ein Rechtsgespräch mit dem Staatsanwalt und der Vorsitzenden Richterin Frau Aschmann vor. Ergebnis: Das Verfahren wurde gegen Geldauflage von je 600 Euro an die Geschädigten eingestellt.

„Erwachsene verprügeln Kinder und nichts passiert“

Die vorzeitige Beendigung des Verfahrens und der milde Ausgang ohne Urteil hinterließen bei den Betroffenen Frustration und Wut. Bashar M., der trotz seiner Ängste und Sorgen vor dem Termin selbstbewusst und klar auftrat, äußerte sein Unverständnis: „Es gab doch noch mehr Zeuginnen, warum wurden die nicht mehr gehört? Das macht mich traurig, ich verstehe das nicht. Man muss sich das mal vorstellen, dass da erwachsene Männer quasi Kinder angreifen und verprügeln und dann nichts passiert. Das hat mir krasse Angst gemacht, die ich heute manchmal noch habe. “


Auch weitere Betroffene und Beobachterinnen hatten das Gefühl, dass eine gewisse Bequemlichkeit bei den Prozessbeteiligten zur vorzeitigen Beendigung des Prozesses und Einstellung des Verfahrens beigetragen hat. Im Gerichtssaal spürte man eine nachlassende Aufmerksamkeit für Zeugenaussagen und kürzere Befragungen. Selbst der Vorwurf des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte gegen einen der Angeklagten fand kaum Beachtung. Zu beobachten war auch ein unsensibler Umgang mit einigen Befragten und einem Dolmetscher. So fragte die Richterin Bashar M. mehrmals, ob er wirklich keinen Dolmetscher benötige. Nachdem Bashar, der kürzlich sein Abitur gemacht hatte, dies verneinte, lobte die Richterin ihn für sein gutes Deutsch. Die Verteidiger witzelten gemeinsam mit den Angeklagten über Sprachbarrieren einzelner Zeuginnen und erzeugten damit für alle Beteiligten eine unangenehme Machtdynamik.

Der Ausgang des Prozesses sendet ein verheerendes Signal. Es zeigt erneut, dass Betroffene von rassistischer Gewalt oft keine Gerechtigkeit vor Gericht finden. Auch in diesem Prozess fühlten sich die Betroffenen – wie so oft – nicht ernst genommen.