Das Amtsgericht Merseburg hat Mitte September 2022 ein Verfahren gegen die Neonazis Sven Liebich und Enrico Marx aus Sachsen-Anhalt eingestellt. Ihnen und Liebichs Lebensgefährtin, der extrem rechten Erzieherin Caroline K., war der Angriff auf ein Impfteam in Querfurt vorgeworfen worden. Es war der erste bekannte Prozess in Sachsen-Anhalt wegen eines Angriffs auf medizinisches Personal im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie.

von Valentin Hacken

21. August 2021, Burgfest in Querfurt. Neben Mittelalterständen gibt es auch ein Impfzentrum. Wie an vielen anderen Orten soll hier Menschen ermöglicht werden, sich spontan gegen das Corona-Virus impfen zu lassen. Doch eine Gruppe pöbelt die Mitarbeiter*innen an. Einer kommt ihnen ohne Maske sehr nahe. Es sei von „totspritzen“ geredet worden. Nach Duschen sei gefragt worden und „Sprüche mit Gaskammer“ seien gefallen. So schildert es im 19. September 2022 ein 47-jähriger Sanitäter, welcher an diesem Tag für die Betreuung und Nachsorge der zu Impfenden zuständig gewesen sei, im Prozess vor dem Amtsgericht Merseburg. Auch seine 28-jährige Kollegin spricht von Provokationen und Beleidigungen aus der Gruppe, von einer Verpönung als „Merkels Helfer“ – die Anspielung auf die ZDF-Reihe über NS-Kriegsverbrecher ist wenig subtil.

Einige Stunden später, gegen 16 Uhr, waren die extrem Rechten, nun in Teilen alkoholisiert, wieder da. Erneut pöbeln sie die Menschen am Impfzentrum an, so berichten es der Sanitäter und seine Kollegin. In der Fünfer-Gruppe: Neonazi Sven Liebich, ehemals Blood&Honour-Kader – extrem rechter Versandhändler und Dauerorganisator extrem rechter Versammlungen, Enrico Marx – bekannt u.a. als Rechtsrockkonzertveranstalter und JN-Stützpunktleiter und Liebichs Lebensgefährtin, die heute 26-jährige Caroline K.

Schläge und Tritte gegen Sanitäter

Laut Anklage der Staatsanwaltschaft Halle habe Sven Liebich die Mitarbeiter*innen nun gefilmt. Um das zu unterbinden, habe der Geschädigte das Smartphone Liebichs festgehalten. Der darauffolgende Angriff auf den Sanitäter ist als einfache und gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung angeklagt.

In seiner Einlassung vor Gericht behauptet der heute 52-jährige Liebich, der sich hier als Videoaktivist bezeichnet, dass der Geschädigte, während er gerade den Impfstand filmte, wortlos auf ihn zugerannt sei und ihm das Handy aus der Hand gerissen habe. Nur weil er sein Telefon hätte wiederhaben wollen, habe es ein Gerangel gegeben, bei dem er selbst auch umgefallen sei. Getreten habe er den Geschädigten nicht. Auch die heute 26-jährige Angeklagte Caroline K. bestreitet, dem Sanitäter wie angeklagt in den Rücken gesprungen zu sein. Die Aussage des mittlerweile 45-jährigen Angeklagten Enrico Marx fällt kurz aus: Er könne sich an nichts erinnern. Der Atemalkoholtest kam bei ihm an diesem Nachmittag auf 2,75 Promille.

Der betroffene Sanitäter hingegen schildert vor Gericht, dass er Liebich mehrfach erfolglos aufgefordert habe, das Filmen zu unterlassen. Deshalb sei er auf Liebich zugegangen. Er habe die Kamera abdecken und sich und seine Kollegin vor der Aufnahme schützen wollen. Dann sei ihm ins Gesicht geschlagen und zeitgleich in die Nierengegend getreten worden und er zu Boden gegangen. Am Boden liegend sei er getreten worden. In dem Geschehen habe er im Affekt plötzlich Liebichs Smartphone in der Hand gehabt und es weggeworfen in der Hoffnung, die Angreifer*innen würden dann von ihm ablassen. Schließlich sei seine Kollegin gekommen und habe ihm aufgeholfen.

Danach hätten er und sein Team sich erstmal verbarrikadiert. Liebich habe noch einen Stuhl gegen ihre Tür geworfen. Als die von ihnen alarmierte Polizei eingetroffen sei, hätten die erstmal gesagt, sie seien nur zu zweit und könnten gar nichts machen: „Das ist uns hier zu heiß!“ So habe er den Arzt vor Ort gebeten, seine Verletzungen zu dokumentieren: an Ober- und Unterlippe und einem Ellenbogen. Am Abend habe er dann erst die Schmerzen am Rücken gespürt und von seiner Frau dokumentieren lassen.

Schlussvortrag der Staatsanwaltschaft fällt aus

Die Aussagen der weiteren drei Zeug*innen können nur sehr begrenzt zur Aufhellung des Tatvorgangs beitragen. Teilweise waren sie weiter entfernt, konnten nicht alles sehen oder sich nach fast einem Jahr später vor Gericht nicht mehr erinnern. Allein die Kollegin des Sanitäters erinnerte sich noch sehr konkret daran, dass Caroline K. diesem in den Rücken getreten habe. Weitere Erinnerungen an einen Schlag mit Trinkhorn auf den Kopf ihres Kollegen, den sie bei ihrer polizeilichen Vernehmung noch Enrico Marx zuordnen konnte, sowie an einen Tritt von Liebich kommen nicht zurück. Sie wolle nichts Falsches sagen. Es habe auch noch Schläge gegeben aus der Fünfer- oder Sechsergruppe, als ihr Kollege schon am Boden lag. Aus den Aussagen wird aber auch erkennbar, dass es mehr Augenzeug*innen gegeben haben muss. Doch ermittelt wurden diese offenbar nicht.

Die Verlesung der Einträge aus dem Bundeszentralregister ergibt bei Caroline K. keine Vorstrafen, bei Enrico Marx sechzehn, darunter Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und unerlaubter Besitz von Schusswaffen. Zu Liebich sind sechs Einträge vorhanden, unter anderem wegen Beleidigung, Steuerhinterziehung und Volksverhetzung. Staatsanwalt Kais bittet um zehn Minuten Unterbrechung, um sein Plädoyer vorzubereiten. Doch er wird es nicht halten.

Einstellungen wegen Geringfügigkeit

Richter Weichert bittet stattdessen die Prozessbeteiligten zu einem Rechtsgespräch. Danach stellt er das Verfahren gegen Sven Liebich und Enrico Marx wegen Geringfügigkeit ein. Die Kosten des Verfahrens und die Auslagen der Angeklagten zahlt die Staatskasse. Lediglich Caroline K. muss als Auflage für die Einstellung 500 Euro an die Landeskasse zahlen. Das Amtsgericht Merseburg führt dazu auf schriftliche Anfrage aus: „Bei der Angeklagten K. konnte konkret festgestellt werden, dass diese den geschädigten Zeugen getreten hatte“.

Caroline K. hatte Mitte Februar 2022 für bundesweites Aufsehen gesorgt, als sich Eltern einer Kindertagesstätte der Volkssolidarität in Halle (Saale) an die Öffentlichkeit wandten, in der K. zum damaligen Zeitpunkt beschäftigt war. Sie kritisierten, dass die Volkssolidarität eine Rechtsextremistin zur Erziehung von Kindern einsetzte. K. wurde in der Folge entlassen.

Das erste bekannt gewordene Strafverfahren in Sachsen-Anhalt wegen eines Angriffs auf medizinisches Personal im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie zeigt sich damit als wenig effektiv zur Abschreckung rechter Gewalt. Gegen Sven Liebich hat die Staatsanwaltschaft Halle derweil erneut Anklage wegen rund 30 Vorwürfen erhoben, darunter Volksverhetzung, Beleidigung und üble Nachrede. Das Amtsgericht Halle prüfe derzeit deren Zulassung, wie der MDR Ende November 2022 berichtete.