Anlaufstelle Mitte (Magdeburg), 05.04.2005

Im Prozess um den Tod des 60jährigen Helmut Sackers spricht das Landgericht Halle den Täter erneut frei. Das Gericht würdigte Helmut Sackers als zivilcouragierten Bürger, weil er den Polizeinotruf verständigte, als ein Ex-Naziskinhead lautstark das Horst-Wessel-Lied in einem Halberstädter Plattenbau abspielte, und stempelt den getöteten 60Jährigen gleichzeitig zum Täter. Staatsanwaltschaft hatte sechseinhalb Jahre Haft wegen Körperverletzung mit Todesfolge gefordert.

In zweiter Instanz hat das Landgericht Halle einen ehemaligen Naziskinhead aus Halberstadt von dem Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung mit Todesfolge freigesprochen und diesen Freispruch mit einem „Notwehrexzess“ begründet. Gleichzeitig betonte das Landgericht Halle, der getötete 60jährige Helmut Sackers habe Zivilcourage gezeigt, als er am 29. April 2000 den Polizeinotruf in Halberstadt verständigte: “Bei uns im Haus werden Nazilieder gespielt, Horst-Wessel-Lied, ganz laut.“ Die Polizeibeamten, die sich daraufhin zur Wohnung des damals 29jährigen Ex-Neonazis Andreas S. begaben, ermahnten ihn, während Helmut Sackers dem 29Jährigen für den Wiederholungsfall mit einer Anzeige drohte. Eine Stunde später war der Kaufmann aus Kleve tot, verblutet an vier Messerstichen im Treppenhaus des Plattenbaus, in dem er mit seiner Lebensgefährtin wohnte.

Das Landgericht Magdeburg sprach Andreas S. in erster Instanz im November 2000 frei, nachdem S. behauptet hatte, er habe in Notwehr zugestochen. Eine rechtsextreme Motivation für die Tat wurde im damaligen Prozess ausgeblendet, obwohl die Polizei bei der Durchsuchung der Wohnung von Andreas S. über 90 rechtsextreme CDs, aktuelles Propagandamaterial verbotener Neonaziorganisationen sowie Videos mit Mordaufrufen gegen politische Gegner gefunden hatte. Nachdem der Bundesgerichtshof im Sommer 2001 einer Revision der Nebenklage stattgab, begann am 31. August 2004 vor dem Landgericht Halle der Prozess in zweiter Instanz.

Nach 21 Prozesstagen stellte das Landgericht Halle nun fest, der Angeklagte und seine Ehefrau – die einzige Entlastungszeugin des Angeklagten – hätten während des Prozesses mehrfach gelogen und sich in Widersprüche verwickelt. So habe der Angeklagte verschwiegen, dass er Helmut Sackers durch zwei gezielte Faustschläge ins Gesicht verletzt habe. Weiterhin habe ein Hundegutachter zweifelsfrei dargelegt, dass Helmut Sackers entgegen der Aussagen des Angeklagten und seiner Ehefrau seinen Hund nicht auf das Paar gehetzt habe. Darüber hinaus habe der Angeklagte verschwiegen, dass er Helmut Sackers im Treppenhaus getroffen und als „Kommunist“ beschimpft hatte.

Zudem hatte die Ehefrau in ihrer polizeilichen Vernehmung unmittelbar nach der Tat angegeben, sie sei nicht Zeugin des Angriffs gewesen. Vor dem Landgericht Magdeburg und nun auch vor dem Landgericht Halle gab die Ehefrau dann an, sie habe während der Auseinandersetzung zwischen ihrem Ehemann und Helmut Sackers auf der Treppe gestanden und zugeschaut. Das Landgericht Halle bezeichnete die Behauptung der Zeugin, sie habe in ihrer polizeilichen Vernehmung unter Medikamenteneinfluss gestanden und deshalb die Unwahrheit gesagt, als Lüge.

„Das Gericht hat in seiner Urteilsbegründung keinen einzigen Grund für den vom Angeklagten behaupteten Angriff Helmut Sackers auf den 30 Jahre jüngeren Mann genannt,“ kritisierte Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck, Vertreter der Nebenklage. In sieben entscheidenden Punkten habe das Gericht dem Angeklagten und seiner Ehefrau Lügen und Widersprüche nachgewiesen. „Dass das Gericht dann aber davon ausgeht, der Angeklagte habe ausgerechnet im Kernbereich des Tatgeschehens die Wahrheit gesagt, ist nicht nachvollziehbar,“ so Wolfgang Kaleck. „Überall dort, wo sich die Einlassungen des Angeklagten und seiner Ehefrau der Nagelprobe der wissenschaftlichen Erkenntnisse stellen mussten, hat sich erwiesen, dass der Angeklagte und seine Entlastungszeugin gelogen haben,“ so Wolfgang Kaleck. Dass das Gericht dies auch feststelle und trotzdem zu dem Schluss komme, die Tatversion des Angeklagten als glaubwürdig zu bewerten, sei „absurd“, so Kaleck.

Als Gründe, dem Angeklagten einen Notwehrexzess zuzubilligen, gab das Gericht an, es glaube den Ausführungen des Angeklagten, dass er „Todesangst“ davor empfunden habe, von Helmut Sackers eine 1,43m tiefe Kellertreppe hinunter geschubst zu werden. Zudem hatte der Angeklagte behauptet, eine Messerverletzung aus dem Jahr 1991 habe bei ihm zu bleibenden Traumatisierungen geführt. Nach Feststellung des Gerichts hatte der Angeklagte zuvor extra ein 17cm langes Messer aus seiner Wohnung geholt. Mit diesem Messer stach er dann ohne Vorwarnung vier mal auf Helmut Sackers ein und verletzte ihn tödlich.

„Mit diesem Urteil wird niemand mehr ermutigt, Zivilcourage gegen Rechts zu zeigen,“ so Heide Dannenberg, die Lebensgefährtin des Getöteten. Die Angehörigen als Nebenkläger erklärten, sie empfänden das Urteil als eine „zweite Ohrfeige“.

„Helmut Sackers hat die Polizei verständigt, als das Horst-Wessel-Lied durch den Plattenbau dröhnte – und damit deutlich gemacht, dass er mit Hilfe von Polizei und Justiz rechtsextremen Aktivitäten Grenzen setzen wollte,“ so die Mobile Opferberatung. „Das Urteil des Landgerichts stempelt das zivilcouragierte Opfer eines Neonazis zum Täter.“

Um die Kosten der Nebenklage zu decken, ruft die Mobile Opferberatung zu Spenden auf. Der Spendenaufruf, der u.a. von Dr. h. c. Koschnik; Hans-Jochen Tschiche, Vorstandsvorsitzender von Miteinander e.V.; Anetta Kahane, Vorstandsvorsitzende Amadeu-Antonio-Stiftung unterzeichnet wurde, kann unter www.mobile-opferberatung.de abgerufen werden.