Anlaufstelle Mitte (Magdeburg), 24.08.2005

„Der Umgang der Justiz in Sachsen-Anhalt mit den tödlichen Messerstichen gegen Helmut Sackers zeigt, wie schwer es ist, Gerechtigkeit für Opfer rechter Gewalt auf juristischen Weg zu erlangen,“ so die Mobile Opferberatung.
Der Freispruch des Landgerichts Halle für den Ex-Naziskinhead Andreas S. aus Halberstadt, der am 29. April 2000 den 60jährigen Helmut Sackers mit vier Messerstichen tötete, ist rechtskräftig.

Ende Juli hatten die Angehörigen des Getöteten ihre Revision gegen den Freispruch zurückgezogen. „Wir haben nach den bisherigen Erfahrungen einfach keine Kraft und kein Vertrauen in die Justiz mehr, “ erklärte die Schwester des Getöteten, Irmgard Sackers-Buekers dazu. Die Angehörigen hofften allerdings darauf, dass die Staatsanwaltschaft Halle ihre Revision aufrecht erhalten würde. Die Anklagevertreter hatten sechseinhalb Jahre Haft für Andreas S. wegen gefährlicher Körperverletzung mit Todesfolge gefordert. Rechtskräftig wurde das Urteil nun, weil die Staatsanwaltschaft Halle im August auf Anordnung der Generalstaatsanwaltschaft Sachsen-Anhalt die Revision zurückzog. „Was jetzt bleibt, ist das Gefühl absoluter Ohnmacht,“ sagt die Schwester des Getöteten.
„Der Umgang der Justiz in Sachsen-Anhalt mit den tödlichen Messerstichen gegen Helmut Sackers zeigt, wie schwer es ist, Gerechtigkeit für Opfer rechter Gewalt auf juristischen Weg zu erlangen,“ sagt eine Sprecherin der Mobilen Opferberatung.

Der 60jährige Helmut Sackers hatte am Abend des 29. April 2000 mit „110“ die Polizei in Halberstadt gerufen. „Bei uns im Haus werden Nazilieder gespielt, Horst-Wessel-Lied, ganz laut“. Eine Stunde später verblutete der Rentner aus Kleve im Treppenhaus eines Plattenbaus, in dem seine Lebensgefährtin damals wohnte. Der Täter: Der Naziskinhead Andreas S., aus dessen Wohnung das Kampflied der SA gedröhnt hatte. Die Tatwaffe. Ein circa 16 cm langes Messer.

In seinem Urteil vom 5. April 2005 begründete das Landgericht Halle den Freispruch für Andreas S. mit einem „intensiven Notwehrexzess“. Trotz der vom Gericht geäußerten „starken Zweifel“ an der Version des Angeklagten. wollte die Kammer nicht mit Sicherheit ausschließen, dass die Aussage des Angeklagten, er sei angegriffen worden und habe in Todesangst zugestochen, nicht der Wahrheit entspräche. Die Kammer bewertete die vier tödlichen Messerstiche als „intensiven Notwehrexzess“. Andreas S. habe die Grenzen der Notwehr aus „panischer Furcht“ überschritten eine 1,43 cm tiefe Kellertreppe hinab zu stürzen. Grund hierfür sei u.a., dass er im Mai 1991 bei einer Auseinandersetzung mit „Schwarzafrikanern“ in Magdeburg – nach der der Naziskinhead Andreas S. wohlweißlich keine Anzeige erstattet hatte – selbst Opfer eines Messerangriffs wurde und seitdem traumatisiert und insgesamt „psychisch labil“ sei.

„Das Gericht hat in seiner Urteilsbegründung kein einziges Indiz geschweige denn einen Beweis für den vom Angeklagten behaupteten Angriff durch Helmut Sackers genannt,“ kritisiert Nebenklagevertreter Wolfgang Kaleck das Urteil. An allen Punkten, in denen sich die Einlassungen des Angeklagten und seiner Ehefrau „der Nagelprobe von wissenschaftlichen Erkenntnissen stellen mussten,“ sei bewiesen worden, dass der Angeklagte und seine Entlastungszeugin logen. „Dass das Gericht dann aber davon ausgeht, der Angeklagte habe aber ausgerechnet im Kernbereich des Tatgeschehens die Wahrheit gesagt, ist auch juristisch nicht nachvollziehbar,“ so Kaleck.

Für die Lebensgefährtin von Helmut Sackers sowie für die Schwester und die drei erwachsenen Kinder sind mit dem zweiten Freispruch alle Versuche gescheitert, Helmut Sackers auf juristischem Weg zu rehabilitieren und Gerechtigkeit zu erfahren.
Vor dem Landgericht Magdeburg hatte Andreas S. schon im November 2000 erfolgreich behauptet, der 30 Jahre ältere Helmut Sackers habe ihn angegriffen und er habe daher in Todesangst sein Messer gezückt und zugestochen. Die einzige Alibi-Zeugin: Seine damalige Verlobte und heutige Ehefrau. Das Landgericht Magdeburg sprach Andreas S. daraufhin im November 2000 wegen „Notwehr“ frei. Im Sommer 2001 hob der Bundesgerichtshof in Karlsruhe auf Antrag der Angehörigen von Helmut Sackers das Urteil wegen Verfahrensfehler auf und verwies den Fall ans Landgericht Halle, wo der Prozess im August 2004 begann.

Weil das Revisionsverfahren beim Landgericht Halle alleine auf Antrag der Nebenkläger zustande gekommen war, müssen die Angehörigen die Kosten der Nebenklage in Höhe von rund 19.000 Euro selbst tragen. Bis Mitte Juli 2005 gingen Spenden in Höhe von 9.105,50 Euro nach einem Spendenaufruf von Prominenten wie dem ehemaligen Bremer Bürgermeister Hans Koschnick und dem Frankfurter Professor Micha Brumlik beim „Opferfonds“ des Vereins Miteinander e.V. für die Prozesskosten der Nebenklage ein.

Weitere Spenden für die Kosten der Nebenklage können auf das Konto von Miteinander e.V., Konto-Nr.: 535353, BLZ: 81020500, Verwendungszweck: Opferfonds / Revision Halberstadt, Bank für Sozialwirtschaft Magdeburg überwiesen werden. Auf Wunsch wird gerne eine Spendenbescheinigung übersandt.