Anlaufstelle Süd (Halle), 21.09.2010

Mobile Opferberatung fordert Landesregierung auf, die offizielle Zahl der Todesopfer rechter Gewalt im Land von vier auf 12 zu korrigieren

Mindestens 137 Menschen haben seit 1990 durch politisch rechts motivierte Gewalttaten in Deutschland ihr Leben verloren, wie aktuelle Recherchen von Tagesspiegel und ZEIT belegen (siehe zeit.de: Todesopfer rechter Gewalt). Darunter befinden sich auch 12 Todesopfer aus Sachsen-Anhalt, zum Beispiel der 23-jährige Matthias Lüders, der im April 1993 an den Folgen eines Überfalls von 40 rechten Skinheads auf eine Diskothek in Obhausen (Saalekreis) starb; der 60-jährige Helmut Sackers, der im April 2000 in Halberstadt (Harz) von einem Neonazi im Treppenhaus erstochen wurde, nachdem er wegen des lauten Abspielens von Nazimusik die Polizei gerufen hatte oder der 20-jährige Rick Langenstein, der im August 2008 vor einer Diskothek in Magdeburg von einem Neonazi mit Schlägen und Tritten tödlich misshandelt wurde.

Die Dokumentation der Journalist_innen vom vergangenen Donnerstag belegt auch die besondere Gefährdung oftmals ohnehin diskriminierter und benachteiligter Bevölkungsgruppen: Wohnungslose und sozial Randständige wie der 43-jährige Wohnungslose Eberhart Tennstedt, der im April 1994 von drei Rechten in Quedlinburg (Harz) mit einer Gaspistole in einen Fluss getrieben wurde und ertrank oder der geistig behinderte 37-jährige Hans-Werner Gärtner aus Löbejün (Saalekreis), der im Oktober 1999 von einem rechten Trio zu Tode gequält wurde; Punks wie der 23-jährige Thorsten Lamprecht, der im Mai 1992 bei einem Überfall von etwa 60 rechten Skinheads auf eine Punkerparty in dem Magdeburger Lokal “Elbterrassen” mit einem Baseballschläger getötet wurde und Migrant_innen wie der 39-jährige Alberto Adriano, der im Juni 2000 von drei Neonazis im Dessauer Stadtpark so schwer misshandelt wurde, dass er drei Tage später starb.

Die aktuelle Veröffentlichung verdeutlicht vor allem erneut eins: die tödliche Dimension rechter Gewalt in der Bundesrepublik. Doch diese wird in den offiziellen Fallzahlen der Bundes- und Landesregierung nach wie vor verharmlost. Von den 12 dokumentierten Fällen aus Sachsen-Anhalt werden lediglich vier durch die Bundesregierung offiziell als Todesopfer rechter Gewalt anerkannt. Dabei ist eine nachträglich Meldung zu dieser Kategorie durch die Behörden durchaus möglich, wie der Fall Frank Böttcher zeigt: Im Jahr 2009 – also 12 Jahre nach der Tat – wurde Frank Böttcher durch die Magdeburger Landesregierung als Todesopfer rechter Gewalt an das Bundeskriminalamt nachgemeldet – und dann erstmals im Oktober 2009 in der Antwort der Bundesregierung auf eine entsprechende Anfrage der Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (DIE LINKE) genannt (Drucksache 16/14122).

“Wenn im Jahr 2009 der Totschlag an dem Punk Frank Böttcher als politisch rechts motiviertes Tötungsdelikt nachgemeldet werden konnte, muss dies auch in den anderen acht Fällen aus den Jahren 1993 bis 2008 möglich sein”, bemerkt eine Sprecherin der Mobilen Opferberatung. “Aus unserer Beratungs- und Unterstützungsarbeit wissen wir, wie wichtig die offizielle Anerkennung für die Angehörigen ist”, so die Sprecherin weiter.