Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt e.V. (VBRG)

Mit einem dringenden Appell für den Ausbau und langfristige Absicherung zivilgesellschaftlicher Beratungsangebote und Meldestellen sowie solidarischer Bündnisse zum Schutz von Betroffenen von Antisemitismus und Rassismus wenden sich Opferberatungsstellen und der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus e.V. (Bundesverband RIAS e.V.) an die Öffentlichkeit und Politik. Vor dem Hintergrund der eskalierenden antisemitischen Bedrohungen, Angriffe und Gewalt in Deutschland und der hohen Zustimmungswerte für die rechtsextreme AfD dürfen die Betroffenen vom Rechtsstaat, Politik und Gesellschaft nicht im Stich gelassen werden. Die Gewaltopferberatungsstellen des VBRG e.V. warnen davor, dass die aktuellen Debatten sowohl Antisemitismus als auch Rassismus verschärfen und reproduzieren und Ausgangspunkt für eine weitere Eskalation von Gewalttaten und Bedrohungen werden. Daher bedarf es akut solidarischer Bündnisse zum Schutz von Betroffenen von Antisemitismus und Rassismus.

Die ohnehin schon überlasteten spezialisierten Beratungsstellen für Betroffene von Antisemitismus wie OFEK e.V. und die im VBRG e.V. zusammengeschlossenen Beratungsstellen für Betroffene von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt sowie die im Bundesverband RIAS zusammengeschlossenen Meldestellen müssen daher dringend langfristig ausgebaut und finanziell durch den Bund und die Landesregierungen unterstützt werden“, fordern VBRG e.V. und der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus e.V.

„Antisemitismus in Deutschland ist kein importiertes Problem“

„Das Sicherheitsgefühl von Jüdinnen*Juden in Deutschland hat sich aufgrund des eskalierenden gewalttätigen Antisemitismus akut verschlechtert,“ betont Benjamin Steinitz vom Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus e.V. (RIAS). Seit Beginn der Terrorangriffe der islamistischen Hamas auf die Bevölkerung in Israel hat der Bundesverband RIAS allein im Zeitraum vom 9. bis 15. Oktober 2023 über 200 antisemitische Vorfälle registriert. Das ist ein Anstieg um mehr als 240 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Am 18. Oktober kam es zur Eskalation: Zwei unbekannte Männer verübten in Berlin-Mitte einen Brandanschlag auf die Synagoge und das Gemeindezentrum von Kahal Adass Jisroel. Mit Blick auf die Wahlerfolge der rechtsextremen AfD in Hessen und Bayern und das antisemitisch motivierte, rassistische und rechtsterroristische Attentat in Halle (Saale) an Yom Kippur 2019 betont Benjamin Steinitz: „Antisemitismus in Deutschland ist kein importiertes Problem. Das zeigt sich auch in den über 100 registrierten antisemitischen Vorfällen mit Bezug zur Shoa, die bereits in diesem Jahr in Bayern registriert wurden.“

„In Thüringen zeigt sich, wie die hohen Zustimmungswerte für die rechtsextreme AfD zu einer massiven Bedrohung im Alltag für viele Betroffene von Rassismus und Antisemitismus führt“, betont Franz Zobel von der Gewaltopferberatungsstelle ezra in Thüringen. „Insbesondere Geflüchtete in Gemeinschaftsunterkünften sind mit rassistischen Angriffen direkt in den Unterkünften konfrontiert – dazu gehört das Eindringen von vermummten Angreifern in die Unterkünfte und körperliche Angriffe auf Frauen und Kinder.“ Zivilgesellschaftliche Beratungsstellen für Betroffene von Antisemitismus und Rassismus befürchten, dass sie viele Angegriffene in naher Zukunft nicht mehr unterstützen können, wenn die Thüringer CDU, wie im letzten Jahr versuchen sollte, Kürzungen des Landesprogramms „DenkBunt“ zu beantragen, die sie dieses Jahr mit den Stimmen der AfD Abgeordneten durchsetzen könnte.

Vor dem Hintergrund der Erfahrungen in der Beratung von Betroffenen schwerer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalttaten u.a. in Brandenburg und Thüringen, die etwa im Gerichtsbezirk Cottbus (Brandenburg) bis zu sieben Jahre auf eine rechtskräftige Verurteilung von organisierten rechten Angreifern warten, erlebten viele Menschen „eine große Diskrepanz zwischen den Versprechen und der Realität des Rechtsstaats“, betont Joschka Fröschner von der Opferperspektive e.V. „Die Betroffenen fühlen sich vom Rechtsstaat im Stich gelassen“.

Auswirkungen der aktuellen antisemitischen Angriffe auf Überlebende des antisemitisch motivierten Attentats an Yom Kippur 2019

„Für viele UJberlebende des antisemitisch motivierten, rassistischen und rechtsterroristischen Attentats an Yom Kippur 2019 in Halle (Saale) ist das Pogrom der Hamas auf die israelische Gesellschaft eine erneute, re-traumatisierende Erfahrung, die sich in kollektive transgenerationale Traumata von Verfolgung, Vernichtung und UJberleben einschreibt“, sagt Rachel Spicker, die als Beraterin bei der Mobilen Opferberatung in Sachsen-Anhalt seit vier Jahren die UJberlebenden des antisemitisch motivierten, rassistischen und rechtsterroristischen Attentats in Halle (Saale) unterstützt. „Die kollektive Angst, die mit den antisemitischen Angriffen einhergeht“, wirke sich auf das individuelle Leben vieler Betroffener in Deutschland aus. Dennoch seien viele Überlebende des Halle-Attentats in selbstorganisierten Netzwerken von Solidarität, Gemeinschaft und Unterstützung sowohl in der Diaspora als auch in Israel aktiv. Dazu gehöre für viele auch, sich weiterhin in „communityübergreifenden Strukturen zu organisieren und der dominanzgesellschaftlichen Strategie zu widersprechen, Minderheiten gegeneinander auszuspielen und deren Deutungshoheit und Handlungsfähigkeit gegenüber der Mehrheitsgesellschaft zu entkräften.“

„Die Erfahrungen aus der Beratung und Unterstützung der Überlebenden des Halle-Attentats gilt auch für viele oftmals kaum beachteten alltäglichen antisemitisch, rassistisch und queerfeindlichen Gewalttaten machten deutlich, wie notwendig eine bessere Ausstattung und eine langfristige finanzielle Absicherung der spezialisierten Beratungs- und Meldestellen stellen durch das geplante Demokratiefördergesetz sind“, betont der VBRG.

Weitere Informationen und Kontakt:

VBRG e.V.: info@verband-brg.de; +49 30 33859577; www.verband-brg.de

Bundesverband RIAS e.V.: info@report-antisemitism.de; +49 30 817 985 818; https://www.report-antisemitism.de/monitoring/

ezra – Beratung für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Thüringen e.V.: info@ezra.de, 0361 21865133, https://ezra.de/

Opferperspektive e.V. (Brandenburg): info@opferperspektive.de , 0331 8170000, www.opferperspektive.de

Mobile Opferberatung (Sachsen-Anhalt): opferberatung.sued@miteinander-ev.de; 0345 2267100, www.mobile-
opferberatung.de.