Anlaufstelle Süd (Halle), 01.12.2009

Mobile Opferberatung kritisiert Amtsgericht Halberstadt wegen mangelnder Sensibilität für Opferrechte

Am kommenden Donnerstag, den 3. Dezember 2009, 8:30 Uhr beginnt vor dem Jugendschöffengericht am Amtsgericht Halberstadt der Prozess gegen zwei einschlägig bekannte 17- und 18-jährige Rechte, denen die Staatsanwaltschaft gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung in zwei Fällen und Bedrohung vorwirft. Sie sollen an Ostern in Halberstadt gemeinsam mit weiteren Rechten zwei Mal in Folge einen Punk angegriffen und verletzt haben. Zu der Verhandlung sind fünf ZeugInnen geladen.

Der 18-jährige Angeklagte wurde zuletzt erst Anfang Oktober 2009 wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Zwei Monate nach den Angriffen am Osterfeuer hatte er gemeinsam mit weiteren Rechten in Halberstadt zwei alternative Jugendliche mit „Scheiß Zecken, ihr seid es nicht wert zu leben“ angepöbelt, eine Bierflasche nach ihnen geworfen und dann einen 15-Jährigen zu Boden gebracht und immer wieder gegen seinen Kopf geschlagen.

Rechte Angriffe beim diesjährigen Osterfeuer in Halberstadt

Am Abend des 11. April 2009, gegen 21.00 Uhr wurde ein 15-Jähriger mit „Nazis raus“-T-Shirt während des Osterfeuers auf der Jahnwiese vor den Augen seiner Mutter aus einer Gruppe von drei augenscheinlich Rechten mit „Du stinkst!“ beleidigt und mehrfach mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Obwohl sich die Mutter schützend vor ihren Sohn stellte, versuchten mehrere Rechte weiter, an den 15-Jährigen heranzukommen. Dabei drohte einer der Rechten dem Punk, ihn beim nächsten Zusammentreffen totzuschlagen. Eine Bekannte der Mutter informierte die Polizei. Während diese mit den Rechten diskutierte, wurde ihr Sohn hinter ihrem Rücken plötzlich zu Boden gezogen. Schließlich entfernte sich die Gruppe vom Tatort. Als Polizeibeamte eintrafen, bat die Mutter um verstärkte Bestreifung des Osterfeuers, weil sie befürchtete, die Rechten könnten weiter zuschlagen.

Gegen 22.15 Uhr traf der Punk in der Nähe des Osterfeuers erneut auf die Gruppe. Er und sein Begleiter rannten sofort weg, wurden aber verfolgt und eingeholt. Mit den Worten „Du bist doch die Scheiß Zecke von vorhin“ trat jemand dem Punk von hinten die Beine weg, so dass er zu Boden stürzte. Dann traten mehrere Angreifer gleichzeitig auf Oberkörper und Kopf des Betroffenen ein. Als der Begleiter des 15-Jährigen über Handy die Polizei alarmierte, versuchten die Rechten auch ihn zu attackieren. Dem Betroffenen gelang es aufzustehen, er wurde aber von einem Rechten am Hals gepackt und gegen einen Zaun gedrängt. Als kurz darauf ein Funksteifenwagen eintraf, flüchteten die Angreifer. Der 15-Jährige erlitt u.a. eine Platzwunde am Auge, Schwellungen im Gesicht, Hämatome am Körper und eine Zahnverletzung und musste in der Folge ambulant behandelt werden.

Öffentliche Kritik an Polizei und ZuschauerInnen

Der Fall geriet öffentlich in die Kritik, weil sich der Betroffene und seine Mutter in der Folge entsetzt und enttäuscht über das Nichtverhalten umstehender OsterfeuerbesucherInnen und der Feuerwehr geäußert hatten: Als immer mehr Rechte einen Halbkreis um Mutter und Sohn bildeten, hatte sich der Platz rund um den Bierstand – an dem vorher dichtes Gedränge herrschte – schlagartig geleert. Auch Feuerwehrleute griffen später trotz Bitten der alternativen Jugendlichen um Hilfe nicht ein. Sie verwiesen nur darauf, dass die Polizei gleich käme. Auf völliges Unverständnis stieß nach dem erneuten Angriff auch das Verhalten der eingesetzten Polizeibeamten. So hatten die Beamten u.a. anstatt die Verfolgung der flüchtenden Täter aufzunehmen darauf bestanden, zuerst die Personalien der Betroffenen zu notieren.

Aushebelung von Opferrechten vom Landgericht gestoppt

Wäre es nach dem zuständigen Jugendrichter gegangen, hätte die Hauptverhandlung bereits Ende August 2009 stattgefunden, allerdings ohne aktive Beteiligung des Betroffenen und seines Rechtsanwalts. Mitte August 2009 lehnte Richter Balko die Zulassung der Nebenklage gegen den zur Tatzeit 18-Jährigen u.a. mit der Begründung ab, dass sie ein Verhandlungsklima schaffen könnte, welches den Erziehungs- und Schutzgedanken bei jugendlichen Angeklagten zuwider laufe. „Das Vorgehen des Amtsgerichts Halberstadt zeugt von mangelnder Sensibilität für die Rechte von Betroffenen“, kritisiert eine Sprecherin der Mobilen Opferberatung. „Unsere Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, dass oftmals nur eine engagierte Nebenklagevertretung den Bedürfnissen vieler Betroffener nach aktiver Beteiligung am Strafprozess und nicht zuletzt nach Thematisierung der Tatmotivation gerecht wird. Zudem hinterfragen Opferschutzorganisationen seit Jahren, inwieweit eine aktive Beteiligung von Betroffenen dem Erziehungsgedanken des Jugendstrafrechts überhaupt entgegensteht“, so die Sprecherin weiter.

Nachdem der Rechtsanwalt des Betroffenen Beschwerde gegen diese Entscheidung eingelegt hatte, hob das Landgericht Magdeburg den Beschluss des Amtsgerichts Halberstadt mit Verweis auf höchstrichterliche Rechtssprechung und die Opferschutzrechte des minderjährigen Betroffenen auf und entschied zudem, ihm seinen Anwalt als Beistand zu bestellen.