Anlaufstelle Süd (Halle), 30.04.2007

Am Donnerstag, den 3. Mai 2007, beginnt vor dem Jugendschöffengericht des Amtsgerichts Quedlinburg, ab 12.30 Uhr, der Prozess gegen drei junge Männer im Alter von 19 bis 24 Jahren und eine 16-jährige Jugendliche wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung und Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Die Staatsanwaltschaft wirft den Angeklagten u.a. vor, am 1. Dezember 2006 in Quedlinburg zwei damals 15- bzw. 18-jährige junge Frauen gezielt angegriffen und verletzt zu haben.

Die drei männlichen Angeklagten sind alle einschlägig polizeibekannt. So wurde der heute 24-jährige Daniel S. in der Vergangenheit mehrfach wegen Körperverletzungsdelikten und Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu Geldstrafen verurteilt. Zur Verhandlung sind zwölf Zeugen geladen.

Gegen 21.00 Uhr wurden die späteren Betroffenen, welche augenscheinlich der Punksszene zuzuordnen waren, am Rande des Quedlinburger Marktplatzes von drei vorbeilaufenden Rechten mit den Worten “Habt wohl den Zug zum KZ verpasst?” angepöbelt. Die beiden reagierten darauf nicht, weil sich nur wenige Meter von ihnen entfernt eine größere Gruppe zum Teil stadtbekannter Neonazis auf dem Marktplatz versammelt hatte. Aus dieser Gruppe kamen kurz darauf mehrere Rechte auf die zwei alternativen Mädchen zu und griffen sie unvermittelt an. Die 18-jährige Punkerin wurde geschubst und die 15-Jährige am Boden hockend zuerst von einer weiblichen Angreiferin getreten, dann mit der Faust ins Gesicht geschlagen und anschließend an den Haaren gezogen und gewürgt. Als einer der männlichen Rechten die 15-Jährige schlagen wollte, ging die 18-Jährige beherzt dazwischen und konnte dadurch die Situation kurzzeitig deeskallieren.

Als die Betroffenen den Tatort verlassen wollten, wurden sie erneut attackiert. Einer der Rechten drückte die 18-Jährige an eine Wand und beschimpfte und bedrohte sie u.a. mit den Worten “Jetzt bist du dran!”. Schließlich erhielt sie von ihm einen harten Tritt in die Rippen und von einem weiteren Angreifer einen Faustschlag ins Gesicht. Als kurz darauf alarmierte Polizeibeamte eintrafen, flüchteten die Angreifer, konnten aber kurz darauf noch auf dem Marktplatz vorläufig festgenommen werden. Bei einer noch vor Ort durchgeführten Gegenüberstellung konnten die beiden Betroffenen alle Angreifer eindeutig identifizieren. Bei der Personenkontrolle der Angreiferstellten die Beamten an der Hose des 24-Jährigen das verbotene “Thor-Steinar-Symbol”, bei einer Tätowierung des 19-Jährigen eine “Odalruhne” sowie auf dem Rucksack der 16-jährigen Angreiferin ein Hakenkreuz fest fest und erstatteten Anzeige wegen Verwendens verfassungswidriger Kennzeichen.

Die Unesco-Weltkulturerbestadt Quedlinburg war im vergangenen Jahr aufgrund einer Vielzahl rechter Angriffe immer wieder in die Schlagzeilen geraten. Mit 25 von der Mobilen Opferberatung registrierten rechten Angriffe lag der Landkreis Quedlinburg im Jahr 2006 an der traurigen Spitze in Sachsen-Anhalt. Allein 23 rechte Gewaltstraftaten wurden in der Stadt Quedlinburg dokumentiert. Zusätzliche Brisanz erhielt der in Rede stehende Angriff auf die beiden Punkerinnen am 1. Dezember 2006, weil an diesem Tag öffentlichkeitswirksam der Start einer Videoüberwachung von Marktplatz und Marschlinger Hof in Quedlinburg verkündet worden war. “Dass es trotzdem zu dem Angriff kam, verdeutlicht das gesteigerte Selbstbewusstsein der gewaltbereiten rechten Szene in Quedlinburg und Umgebung”, so ein Sprecher der Mobilen Opferberatung.

Eine Ursache für diese dramatische Entwicklung sieht die Mobile Opferberatung in der oftmals langen Dauer zwischen rechtem Angriff und strafrechtlicher Aufarbeitung. “Es ist leider noch nicht die Regel, dass sich bereits fünf Monate nach dem Angriff Tatverdächtige vor Gericht verantworten müssen”, so der Sprecher weiter. Beispielsweise im Falle eines schweren rechten Angriffs vom 3. September 2005 am Rande einer Radio-SAW-Party in Quedlinburg, bei dem u.a. auch die heute 19-jährige Punkerin verletzt wurde, warten die Betroffenen bis heute vergeblich auf eine Hauptverhandlung gegen den stadtbekannten rechten Schläger. In der Folge war die junge Frau immer wieder aus der rechten Szene heraus bedroht und angegriffen worden, weil sie damals couragiert Anzeige erstattet und vor der Polizei ausgesagt hatte. Strafrechtliche Konsequenzen diesbezüglich sind bis dato trotz etlicher weiterer Anzeigen ausgeblieben.