Anlaufstelle Süd (Halle), 07.09.2005

„Anklage verharmlost Einsatz von Schusswaffe als gefährliche Körperverletzung“, kritisieren die Mobile Opferberatung und VertreterInnen der Nebenklage.

Vor dem Amtsgericht Halberstadt beginnt am Donnerstag, den 8. September 2005, um 8.30 Uhr im Strafkammersaal der Prozess gegen den stadtbekannten Neonazi Steven R.. Die Staatsanwaltschaft wirft dem gerichtsbekannten 20-Jährigen gefährliche Körperverletzung, Bedrohung, Nötigung und Verwendung verfassungsfeindlicher Kennzeichen vor. Steven R., der sich seit dem 1. Juni 2005 in Untersuchungshaft befindet, soll am 29. Mai 2005 gegen 2.45 Uhr morgens am Halberstädter See eine Gruppe von alternativen Jugendlichen zunächst mit rechtsextremer Propaganda belästigt und dann zwei der Jugendlichen u.a. mit einer Schreckschusspistole bedroht zu haben.

Nach Angaben von ZeugInnen war der Angeklagte uneingeladen bei der Gruppe alternativer Jugendlicher aufgetaucht und hatte zunächst einen Vortrag über die Ziele der NPD gehalten. Daran anschließend habe er mit seiner Beteiligung an mehreren rechtsextremen Gruppen-Gewalttaten in Halberstadt – u.a. dem Angriff auf das soziokulturelle Zentrum ZORA e.V. im August 2003 und auf einen liberianischen Asylsuchenden am 5. Mai 2005 am Halberstädter Bahnhof – geprahlt. Als einer der Jugendlichen schließlich intervenierte und darauf hinwies, dass man kein Interesse an rechter Propaganda habe, schlug Steven R. sofort mit einer Fahnenstange auf den Kopf des am Boden hockenden 17-Jährigen ein. Dann zog Steven R. eine Schreckschusspistole, hielt sie an den Kopf des 17-Jährigen, drohte: „Ich knall dich ab“. In der Folge schlug er den Betroffenen mit der Pistole auf den Hinterkopf und trat dann auf den Kopf seines am Boden liegenden Opfers ein.

Ein 14-Jähriger, der zu intervenieren versuchte, wurde von Steven R. ebenfalls mit Schlägen ins Gesicht verletzt. Anschließend hielt der Neonazi dem 14-Jährigen die Schreckschusspistole an die Stirn, drohte u.a.: „Soll ich es machen wie bei den Juden?“ und drückte ab, ohne dass sich ein Schuss aus der Pistole löste.

Nachdem Steven R. die verletzten und eingeschüchterten Jugendlichen noch gezwungen hatte „Sieg Heil“ zu rufen, entfernte sich der Angreifer. Die Betroffenen erstatteten wenig später Anzeige. Beide erlitten Verletzungen am Kopf und im Gesicht.

„Dass die Staatsanwaltschaft Halberstadt den Einsatz der Schusswaffe lediglich als gefährliche Körperverletzung und nicht als versuchtes Tötungsdelikt wertet, stellt eine Verharmlosung des Angriffs dar,“ kritisiert die Mobile Opferberatung. „Nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis muss von einem versuchten Tötungsdelikt ausgegangen werden“, so auch Rechtsanwältin Arndt, Vertreterin der Nebenklage.

Steven R. wird aus der Untersuchungshaft vorgeführt. Er ist in den letzten Jahren wiederholt durch rechtsextrem motivierte Gewalttaten aufgefallen. So hatte der heute 20-Jährige Ende März 2004 einen Flüchtling aus Eritrea in Halberstadt angegriffen und ebenfalls mit einer Schreckschusspistole am Kopf verletzt. Zwar hat die Staatsanwaltschaft Halberstadt Mitte Juni 2005 Anklage wegen dieses und anderer Körperverletzungsdelikte sowie weiterer Straftaten gegen Steven R. und zwei weitere Beschuldigte erhoben, auf die Eröffnung einer Hauptverhandlung warten die Betroffenen aber bisher vergeblich.