Anlaufstelle Süd (Halle), 17.10.2008
Beginn: 21. Oktober 2008, ab 9.15 Uhr, Strafkammersaal des Amtsgerichts Halberstadt, Richard-Wagner-Str. 52
Am Dienstag, dem 21. Oktober 2008, 9.15 Uhr, beginnt vor dem Jugendrichter des Amtsgerichts Halberstadt der Prozess wegen eines rassistischen Angriffs auf zwei irakische Flüchtlinge. Den heute 18-, 20- und 23-jährigen Angeklagten wird Beleidigung und gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung vorgeworfen.
Vor mehr als eineinhalb Jahren, am 3. April 2007, wurden zwei irakische Flüchtlinge im Bereich des Fischmarktes in der Halberstädter Innenstadt gegen 2 Uhr morgens unvermittelt von drei Männern als “Kanacken” beschimpft. Als die Iraker weitergingen, wurden sie von dem Trio verfolgt. Einer der beiden Iraker, der aufgrund einer Gehbehinderung nicht schnell genug weglaufen konnte, wurde bald von seinen Verfolgern eingeholt und mit einem Tritt in den Rücken zu Fall gebracht. Mit einem so genannten “Totschläger” schlug dann einer der Angreifer auf den am Boden liegenden Betroffenen ein, während die beiden anderen Angreifer auf den Betroffenen eintraten.
Als sein Begleiter ihm helfen wollte, wurde auch er von der Gruppe angegriffen. Daraufhin versuchte der andere Betroffene, seinen Bekannten wegzuziehen. Doch plötzlich ging einer der Angreifer mit einem Messer auf den Flüchtling los. Eine Ausweichbewegung verhinderte schlimmeres: die Klinge traf den Betroffenen lediglich an einer Hand. In diesem Moment trafen Polizeibeamte ein, die die Angreifer nach kurzer Verfolgungsjagd vorläufig festnahmen. Einer der beiden Betroffenen erlitt durch den Angriff erhebliche Verletzungen an Kopf, Brustkorb, Rippen, Becken und im Genitalbereich sowie eine blutende Schnittverletzung.
Obwohl alle drei Tatverdächtigen noch vor Ort von der Polizei festgestellt wurden, stellte die Staatsanwaltschaft Halberstadt Mitte September 2007 das Ermittlungsverfahren “mangels hinreichenden Tatverdachts” ein. Die Betroffenen wurden darüber nicht informiert. Erst nachdem die Rechtsanwältin eines der Betroffenen Mitte Januar 2008 Akteneinsicht beantragte, wurden die Ermittlungen wieder aufgenommen. Ende April 2008 erhob die Staatsanwaltschaft schließlich Anklage gegen alle drei Beschuldigten.
In ihrer Stellungnahme sprach sich die Staatsanwaltschaft gegen eine Beiordnung der Rechtsanwältin für den Betroffenen und Nebenkläger aus, da die Sache keine großen rechtlichen und tatsächlichen Schwierigkeiten aufweise. Der zuständige Jugendrichter lehnte schließlich die Beiordnung ab: Der Betroffene könne seine Rechte ohne anwaltlichen Beistand wahrnehmen, so die Begründung des Richters. Sowohl Gericht als auch Staatsanwaltschaft ist bekannt, dass der Betroffene während des Angriffs Todesängste ausstehen musste, sich wegen seiner Traumatisierung in psychologischer Behandlung befindet und zudem aufgrund seiner Schwerbehinderung auf starke Schmerzmittel angewiesen ist – mithin genau nicht in der Lage ist, seine Interessen vor Gericht selbst zu vertreten.
“Ganz offensichtlich will die Staatsanwaltschaft Halberstadt hier einen schweren rassistischen Angriff einfach unter den Teppich kehren”, so eine Sprecherin der Mobilen Opferberatung. “Erst wird das Verfahren gegen die Tatverdächtigen sang- und klanglos eingestellt und dann auch noch gegen die rechtliche Vertretung des Betroffenen argumentiert, deren Tätigwerden offenbar überhaupt erst zur Wiederaufnahme des Verfahrens führte”.
Bisher ist für den Prozess nur ein Verhandlungstag vorgesehen. Neben den zwei Betroffenen sind fünf weitere Zeugen geladen.
Für weitere Informationen stehen Ihnen die Nebenklagevertreterin, Rechtsanwältin Jutta Hermanns, unter Tel. 0 30 / 26 55 44 84 und die Mobile Opferberatung unter 01 70 / 2 92 53 61 oder 01 51 / 53 31 88 24 zur Verfügung.