Anlaufstelle Mitte (Magdeburg), 08.02.2005

Mobile Opferberatung registriert für 2004 ein Drittel mehr Gewalttaten mit rechtem und rassistischem Hintergrund als im Vorjahr
Schwerpunktregionen: Harzregion, Dessau und Magdeburg
Hauptbetroffene: Alternative Jugendliche und Nichtdeutsche

Insgesamt 109 Angriffe mit rechten oder rassistischen Hintergrund hat die Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt für das Jahr 2004 registriert. Damit ist die Anzahl der bekannt gewordenen Angriffe mit rechter und rassistischer Motivation im Vergleich zum Vorjahr um ein Drittel gestiegen gegenüber den 66 Fällen rechtsextremer und rassistischer Gewalttaten, die die Mobile Opferberatung für das Jahr 2003 registriert hatte. Das Landeskriminalamt Sachsen-Anhalt hatte für das Jahr 2003 die Öffentlichkeit über 53 rechtsextrem und fremdenfeindlich motivierte Gewaltdelikte informiert.

Eine traurige Spitze mit 27 Gewalttaten verzeichnet die Stadt Dessau und Umgebung, gefolgt von der Harzregion mit 23 Angriffen und der Stadt Magdeburg mit elf bekannt gewordenen Angriffen mit fremdenfeindlicher und rechter Motivation.

Nach wie vor gehören AsylbewerberInnen und MigrantInnen sowie nicht-rechte, alternative und linke Jugendliche zu den Hauptopfergruppen. Die Mobile Operberatung registrierte unter den Betroffenen rechter Gewalt 99 nicht-rechte und elf linke Jugendliche sowie 44 MigrantInnen und Asylsuchende. In der überwiegenden Mehrheit der Fälle haben die Betroffenen Anzeige erstattet. Auffällig ist, dass Angriffe auf MigrantInnen und Asylsuchende überwiegend in alltäglichen Situationen und an alltäglichen Orten stattfinden, beispielsweise an Haltestellen, Bahnhöfen oder in öffentlichen Nahverkehrsmitteln. Die Täter handeln zumeist spontan und in Gruppen – sie agieren offen, selbstbewusst und fühlen sich offensichtlich legitimiert, ihre Fremdenfeindlichkeit mit Gewalt zum Ausdruck zu bringen. Im Gegensatz dazu gehen rechten Angriffen auf alternative oder als links geltende Jugendliche und junge Erwachsene oftmals genaue Planungen der Täter voraus, die in vielen Fällen dem Umfeld von militanten Freien Kameradschaften zuzurechnen sind. Wie beispielsweise bei einer fünfköpfigen Gruppen von Neonazis aus Halberstadt und Umgebung, die im April 2004 mit dem festen Vorsatz in ihr Auto stiegen, „den Punk umzufahren“. Wenig später jagten die Neonazis ihr Opfer mit einem Auto, fuhren den 23jährigen Punk an und verletzten ihn durch Schläge mit Eisenstangen auf den Kopf lebensgefährlich.

Besorgt ist die Mobile Opferberatung über die Strafverfolgung der Täter, wie anhand von zwei Beispielen aus der Beratungspraxis deutlich wird: Im Januar 2004 wurde der Anfang Zwanzigjährige Asylsuchende Christopher D. (Name geändert) aus Sierra Leone von drei jungen Männern in Magdeburg in einer Straßenbahn zunächst rassistisch angepöbelt. Einer aus dem rechten Trio brüllte: „Raus aus der Straßenbahn, die ist nur für Deutsche“. Minuten später warf der Mann Christopher D. eine Flasche an den Kopf. Christopher D. erlitt eine blutige Kopfverletzung und wurde ohnmächtig. Polizeibeamten gelang es kurze Zeit nach dem Angriff, zwei der mutmaßlichen Tatbeteiligten festzunehmen. Ein Jahr nach dem Angriff wartet Christopher D. jedoch noch immer vergeblich auf eine Anklageerhebung gegen die Täter. Lediglich eine Form der Widergutmachung gab es für ihn bislang. Der Generalbundesanwalt in Karlsruhe hat ihn als Opfer rassistischer Gewalt materiell entschädigt.

Auch der 20jährige Frank Kaufmann (Name geändert) wurde im Jahr 2004 vom Generalbundesanwalt in Karlsruhe als Opfer rechter Gewalt entschädigt. Der 20jährige war im August 2003 bei einem Angriff von acht Neonazis gegen Punks auf dem Marktplatz von Wernigerode zu Boden geschlagen und brutal gegen Kopf und Oberkörper getreten worden. In diesem Fall ermittelt die Staatsanwaltschaft Halberstadt seit nunmehr 18 Monaten. Die Polizei hatte einen Teil der Angreifer zeitnah festgenommen. Trotzdem stellte die Staatsanwaltschaft Halberstadt die Ermittlungen im Frühjahr 2004 ein. Erst nach mehrfacher Interventionen der Nebenklagevertretung wurden die Ermittlungen wieder aufgenommen – bislang ohne Abschluss.