– Empfehlungen des Verbandes der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG e.V.)
Die zukünftige Bundesregierung muss den Schutz vor rassistischer, antisemitischer und rechter Gewalt aus Respekt vor tausenden Betroffenen dringend verbessern.
„Auch zwei Jahrzehnte nach dem rassistischen Mord an Enver Şimşek, die den Anfang der rassistischen Mordserie des NSU markiert und zehn Jahre nach der Selbstoffenbarung des NSU-Kerntrios gegenüber Polizei und Öffentlichkeit, ist rassistische und antisemitische Gewalt allgegenwärtig. Und noch immer lässt der Rechtsstaat die Betroffenen allzu oft im Stich.“
14 Menschen starben in den vergangenen 24 Monaten bei rechtsterroristischen, rassistisch, antisemitischen Attentaten und rechten Botschaftstaten. Dutzende Menschen wurden bei den Attentaten zum Teil schwer verletzt. Die traumatischen Erfahrungen durch den Verlust eines geliebten Menschen und mörderischen Antisemitismus, Rassismus und Rechtsterrorismus hat das Leben der direkt Betroffenen und der angegriffenen Communities für immer verändert. Im gleichen Zeitraum ereigneten sich täglich mindestens drei bis vier antisemitisch, rassistisch und rechtsextrem motivierte Gewalttaten in Ost- und Westdeutschland, über zweitausend Menschen waren davon direkt betroffen. So unterschiedlich die Tatumstände und Betroffenen auch sind: Die allermeisten teilen die Erfahrungen von blockierter und schleppender Strafverfolgung, verweigerter Aufklärung, mangelnder Verantwortungsübernahme, institutionellem Rassismus und Antisemitismus und materieller Not. „Auch zwei Jahrzehnte nach dem rassistischen Mord an Enver Şimşek, die den Anfang der rassistischen Mordserie des NSU markiert und zehn Jahre nach der Selbstoffenbarung des NSU-Kerntrios gegenüber Polizei und Öffentlichkeit, ist rassistische und antisemitische Gewalt allgegenwärtig. Und noch immer lässt der Rechtsstaat die Betroffenen allzu oft im Stich“, sagt Robert Kusche vom Vorstand des VBRG e.V.
Viele Überlebende, Hinterbliebene und Angegriffene antisemitischer, rassistischer und rechter Gewalt und rechtsterroristischer Attentate werden durch die im VBRG e.V. zusammengeschlossenen unabhängigen Beratungsstellen in 14 Bundesländern unterstützt und begleitet. Die nachfolgenden 5 Forderungen wurden aus der langjährigen Beratungspraxis entwickelt, um auf dringend notwendige Verbesserungen im Opferschutz sowie bei der Bekämpfung von Rechtsterrorismus und antisemitisch, rassistisch und rechts motivierter Gewalt aufmerksam zu machen:
1. Überlebende, Hinterbliebene und Verletzte schwerer rechtsterroristischer, rassistischer und antisemitischer Gewalttaten benötigen eine neu zu schaffende, unbürokratische Grundrente mit einer adäquaten Existenzsicherung. Derzeit werden noch immer viele Überlebende und Hinterbliebene wie etwa in Hanau durch bürokratische Hürden insbesondere der Landesversorgungsämter in Armut und soziale Erniedrigung gedrängt.
2. Das Bundesjustizministerium und die Justizminister*innenkonferenz müssen durch entsprechende gesetzliche Regelungen oder Änderungen in den Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) dafür sorgen, dass Staatsanwaltschaften ohne explizites Einverständnis von Nebenkläger*innen keine schmutzigen Deals mehr mit Neonazi-Gewalttätern – wie etwa im Ballstädt-Prozess in Thüringen – machen können.
3. Eine Erweiterung des Opferschutzes im Aufenthaltsgesetz ist überfällig. Dafür muss die zukünftige Bundesregierung ein Gesetzesvorhaben für ein humanitäres Bleiberecht für Betroffene rassistischer Gewalt ohne festen Aufenthaltsstatus auf den Weg bringen – durch eine Erweiterung von Paragraf 25AufenthG. Es kann nicht sein, dass Täter*innen profitieren, weil abgeschobene Opfer nicht mehr als Zeug*innen in Strafverfahren aussagen können.
4. Es braucht eine unabhängige Polizeibeschwerdestelle auf der Ebene der Bundespolizeien und unabhängige Polizeibeschwerdestellen in allen statt wie derzeit nur in 7 von 16 Bundesländern für Betroffene von polizeilichen Fehlverhalten. Zudem ist die Einigung auf eine bundesweit verbindliche Arbeitsdefinition von institutionellem und strukturellem Rassismus eine Querschnittsaufgabe für die zukünftige Bundesregierung, damit es einen Ausgangspunkt für Fortbildungen, Studien etc. in den Bereichen Polizei, Justiz, Bildung etc. gibt. Eine Orientierung kann die Definition der Rassismus-Enquete-Kommission des Thüringer Landtags bieten. Damit verbunden ist die Notwendigkeit für eine explizite Studie zu Racial Profiling und Rassismus bei den Polizeibehörden des Bundes und der Länder, um das Ausmaß des Problems zu vermessen sowie wirksame Gegenmaßnahmen einzuleiten.
5. Eine dauerhafte Absicherung der Arbeit von Beratungsstellen wie den Opferberatungsstellen, Mobilen Beratungsteam und der Antidiskriminierungsberatung ist ein wichtiges Zeichen der Solidarität des Staates mit den Betroffenen von Antisemitismus, Rassismus, Diskriminierung und Rechtsextremismus. Eine zukünftige Bundesregierung muss durch ein Demokratiefördergesetz sicherstellen, dass die Arbeit der Beratungsprojekte und ihrer Kooperationspartner*innen im Bund und den Ländern dauerhaft abgesichert ist.
„Die zukünftige Bundesregierung muss den verbesserten Opferschutz und eine effektive Strafverfolgung bei rassistischer, antisemitischer und rechter Gewalt zur Priorität machen und mit konkreten Maßnahmen in den Bereichen Innenpolitik, Justiz und Demokratieförderung aus Respekt gegenüber den Betroffenen umsetzen“, betont Robert Kusche. „Die Erfahrungen unseres Netzwerks aus spezialisierten Beratungsstellen in 14 Bundesländern zeigen: Diese konkreten Maßnahmen sind wichtige Schritte, um das bei vielen Betroffenen rassistischer und antisemitischer Gewalt und Bedrohungen erheblich beschädigte Vertrauen in die Strafverfolgungsbehörden wiederherzustellen.“
Der Vorstand des VBRG e.V.
Für weitere Informationen: Robert Kusche, robert.kusche@raa-sachsen.de
Download: 11 Empfehlungen für konkrete Maßnahmen in den Bereichen Justiz, Innenpolitik und Demokratieförderung (22.10.21)