Anlaufstelle Süd (Halle), 27.10.2009
Berufungsprozess nach massivem Gruppenangriff auf einen 15-jährigen alternativen Jugendlichen. Donnerstag, den 29.10.2009, 9:00 Uhr, Landgericht Halle, Hansering 13, Saal 155
Am Donnerstag, den 29. Oktober 2009, beginnt am Landgericht Halle vor der Jugendkammer ab 9:00 Uhr die Berufungsverhandlung gegen den heute 27-jährigen Neonazi und früheren NPD-Funktionär Enrico N. wegen gemeinschaftlich begangener gefährlicher Körperverletzung und Beleidigung. Im April diesen Jahres wurde der Angeklagte in erster Instanz vom Amtsgericht Weißenfels von dem Vorwurf, gemeinsam mit weiteren unbekannt gebliebenen Mittätern einen damals 15-Jährigen verfolgt, mit “Scheiß Zeckenschwein” beschimpft und anschließend mehrfach geschlagen und getreten zu haben, freigesprochen. Gegen dieses Urteil gingen sowohl Staatsanwaltschaft als auch der Betroffene, der im Prozess als Nebenkläger auftritt, in Berufung. Zur Verhandlung sind fünf Zeugen geladen.
In der Nacht vom 9. zum 10. Februar 2008 gegen 0.00 Uhr wurde der Betroffene, ein alternativer Jugendlicher, auf dem Nachhauseweg plötzlich von zwei Autos verfolgt. Kurz vor seinem Haus stiegen mehrere Personen aus. Es gelang dem Schüler nicht mehr, sich in Sicherheit zu bringen. Noch auf dem Grundstück wurde er als “Scheiß Zeckenschwein” beleidigt und mehrmals mit der Faust gegen seinen Kopf geschlagen. Dann traten mehrere Angreifer auf den mittlerweile am Boden hockenden Betroffenen ein. Schließlich versuchten sie den Jugendlichen in Richtung ihres Autos zu zerren. Durch die lauten Schreie des Betroffenen alarmiert waren jedoch Mutter und Bruder zu Hilfe geeilt und der 15-Jährigen konnte sich losreißen. Bei dem Versuch, zwei der Neonazis vom Grundstück zu drängen, wurde auch der damals 23-jährige Bruder des Betroffenen mehrfach geschlagen.
Der 15-jährige Betroffene erlitt ein Schädelhirntrauma sowie Prellungen und Hämatome und musste mit Verdacht auf Schädelbasisbruch mehrere Tage stationär im Krankenhaus behandelt werden. Sein Bruder erlitt u.a. Prellungen im Gesicht und am Knie.
Der im “Bündnis gegen Rechts” engagierte Betroffene erkannte den Haupttäter eindeutig als den Weißenfelser NPD-Funktionär Enrico N.. Auch seine Mutter erkannte ihn auf Lichtbildern der Polizei und vor Gericht zweifelsfrei wieder. Vor dem Amtsgericht Weißenfels bestritt der Angeklagte eine Beteiligung an dem Angriff. Ferner gab er an, zwar noch NPD-Mitglied zu sein, aber keine Funktion mehr in der Partei auszuüben. Enrico N. wurde im Dezember 2006 zum Vorsitzenden der NPD-Ortsbereichsgruppe Weißenfels und im Juli 2007 zum stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden des Kreisverbands Burgenlandkreis gewählt. Für die Kreistagswahl 2007 stellte die NPD-Burgenland ihn als Listenführer für den Wahlbereich III auf.
“Auf den Freispruch hatten der Hauptbetroffene ebenso wie seine Angehörigen und zahlreiche Prozessbeobachter mit absolutem Unverständnis und Fassungslosigkeit reagiert”, so eine Sprecherin der Mobilen Opferberatung. Obwohl der Angeklagte von beiden Verletzten als auch der Mutter erneut vor Gericht eindeutig als einer der Täter wiedererkannt worden war und noch weitere Indizien gegen den Angeklagten sprachen, sah der Richter seine Beteiligung als nicht erwiesen an. So hatte die Polizei u.a. ermittelt, dass das Auto der Lebensgefährtin von Enrico N. bei der Verfolgung benutzt worden war.