Anlaufstelle Mitte (Magdeburg), 17.09.2004

Schwerpunkte rechtsextremer Gewalt in Sachsen-Anhalt: Dessau, Harzregion und Magdeburg
Hauptbetroffene: alternative Jugendliche und Nichtdeutsche

Opferberatung: „Nur durch zivilgesellschaftliches Engagement an der Seite der Opfer rechter Gewalt und öffentliche Diskussionen kann dem Problem rechter Gewalt in Sachsen-Anhalt begegnet werden.“

Seit Jahresbeginn hat die Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt bis Ende Juni 2004 bislang 66 Angriffe mit rechtsextremen oder fremdenfeindlichen Hintergrund registriert. Insgesamt waren 115 Menschen davon betroffen. Darunter waren 70 nicht-rechte und alternative Jugendliche sowie 30 Flüchtlinge und MigrantInnen. Damit sind in den ersten sechs Monaten diesen Jahres erheblich mehr Angriffe mit rechter und rassistischer Motivation bekannt geworden als das LKA Sachsen-Anhalt für das gesamte Jahr 2003 registriert hatte.

Auch das LKA hat in diesem Jahr einen Anstieg rechter Gewalt in Sachsen-Anhalt festgestellt, wie die Antwort des Magdeburger Innenministeriums auf eine parlamentarische Anfrage ergab (vgl. Drucksache 4/1767 vom 19.08.2004). Allerdings registrierte das LKA bisher lediglich 35 rechtsextrem und fremdenfeindlich motivierte Gewalttaten für die erste Jahreshälfte 2004.

Eine traurige Spitze mit 25 Angriffen verzeichnete die Mobile Opferberatung im Bezirk der Polizeidirektion Dessau, gefolgt von dem Bezirk der Polizeidirektion Halberstadt mit 18 Angriffen und der Stadt Magdeburg mit sechs bekannt gewordenen Angriffen mit fremdenfeindlicher und rechter Motivation.

Verharmlosung von rechter Gewalt, z.B. Wegeleben (Landkreis Halberstadt)

Am 17. April 2004 werden ein 24jähriger Punk und zwei Freunde in Wegeleben (Harzregion) gegen 20 Uhr von einem Auto über ein Feld gejagt. Bei seiner Flucht hört der Punk jemanden aus dem Auto schreien: „Fahr das Schwein tot!“. Ein Begleiter des Punk wird seitlich von dem Auto gestreift. Der 24Jährige wird frontal angefahren. Danach steigen fünf offenkundig der rechtsextremen Skinheadszene zugehörigen Männer, alle mit zurechtgesägten Eisenstangen bewaffnet aus dem Fahrzeug aus. Den beiden Begleitern des Punks gelingt die Flucht. Den Punk schlagen die Neonazis immer wieder mit voller Wucht – vor allem auf den Kopf. Dabei wird u.a. gerufen: „Los, bring den um!“. Erst als sich ihr Opfer nicht mehr rührt, lassen die Schläger von ihm ab.

Der Betroffene erleidet u.a. eine Stirnbeinfraktur, Kieferhöhlenfrakturen beidseits und eine acht Zentimeter lange Kopfplatzwunde. Er muss mit schweren Kopfverletzungen in die Intensivstation eines Krankenhauses gebracht werden. Die Polizeidirektion Magdeburg teilt der Öffentlichkeit zwei Tage nach dem Angriff lapidar mit, ein Fußgänger sei vermutlich in voller Absicht angefahren und brutal zusammengeschlagen worden. Hintergründe der Tat seien zur Zeit nicht bekannt.

Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch das Amtsgericht Halberstadt wollen in dem gezielten Angriff mit erklärter Tötungsabsicht lediglich eine gefährliche Körperverletzung erkennen. Die Begründung der Staatsanwaltschaft: Bei dem Punk habe lediglich potenzielle, aber keine konkrete Lebensgefahr bestanden. Es sei zweifelhaft, ob die Täter hätten erkennen können, dass sie ihrem Opfer lebensgefährliche Verletzungen zufügen. Die Nebenklagevertretung des Opfers hat mittlerweile Beschwerde eingelegt und verlangt, dass der Fall als versuchtes Tötungsdelikt vor dem Landgericht Magdeburg und nicht – wie derzeit geplant – als gefährliche Körperverletzung vor dem Amtsgericht Halberstadt verhandelt wird.

„Wenn bei der rechtlichen Würdigung solcher Gewalttaten die rechtsextreme Motivation der Täter ausgeblendet wird, besteht die Gefahr eines falschen Signals an rechtsextreme Schläger und deren Umfeld“, so Zissi Sauermann von der Mobilen Opferberatung.