Anlaufstelle Süd (Halle), 25.07.2007

Im Gegensatz zu den heute veröffentlichten Zahlen des Innenministeriums, das von 31 rechten Gewalttaten ausgeht, registrierte die Mobile Opferberatung in Zusammenarbeit mit der Beratungsstelle für Opfer rechtsextremer Straf- und Gewalttaten in Dessau insgesamt 72 Angriffe von Januar bis Juni diesen Jahres. So sank zwar die Zahl der Angriffe im Vergleich zum Vorjahreszeitraum, aber die Zahl der direkt betroffenen Personen stieg an. Somit waren mindestens 133 Menschen direkt betroffen, davon waren 111 männlich und 22 weiblich.

Erschreckend ist die Intensität der Gewalt und die offen zur Schau gestellte Menschenverachtung in vielen Fällen. So wurde z.B. am 06. Januar ein Brandanschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft in Sangerhausen verübt, dort konnte nur durch das schnelle Handeln eines Bewohners ein mehrfacher, rassistischer Mord verhindert werden. Gegen die vermeintlichen TäterInnen wird gerade vor dem Landgericht Halle prozessiert.

Für überregionale Schlagzeilen sorgte auch der Überfall auf Mitglieder des Halberstädter Theaterensembles, bei dem eine Gruppe einschlägig vorbestrafter rechter Schläger mit unglaublicher Brutalität auf ihre Opfer losging. Nicht nur in diesem Fall musste die Mobile Opferberatung sich mit Einsatzpannen und Versäumnissen der Polizei auseinandersetzen.

Nach wie vor gehören nicht-rechte und alternative Jugendliche und junge Erwachsene zu den Hauptbetroffenen rechter Gewalttaten in Sachsen-Anhalt; mehr als drei Viertel aller registrierten Angriffe galten dieser Betroffenengruppe. Von rassistischen Angriffen waren nach Informationen der Mobilen Opferberatung im ersten Halbjahr 2007 insgesamt 11 MigrantInnen und Flüchtlinge betroffen.

Zu den seit Jahren bekannten Zentren rechter Gewalt, wie der Harzregion mit mindestens 12 rechten Attacken und Magdeburg mit 6 registrierten Taten, haben sich neue Schwerpunkte im südlichen und südöstlichen Sachsen-Anhalt entwickelt. Im Burgenlandkreis wurden alleine 9, in Merseburg-Querfurt jeweils 3 rechte Gewaltstraftaten gezählt. Auch in Bitterfeld mit 7 sowie Dessau und Anhalt-Zerbst mit jeweils 4 Angriffen bleibt die rechte Gewalt auf einem hohen Niveau.

Gerade die Erfahrungen im sachsen-anhaltinischen Süden zeigen, dass im Bereich politisch rechts motivierter Gewalt von einer hohen Dunkelziffer auszugehen ist. Denn gerade dort wurden die MitarbeiterInnen der Mobilen Opferberatung bei ihrer Beratungstätigkeit mehrfach mit weiteren, vorher unbekannten Fällen konfrontiert.

Zur Bewertung der Halbjahreszahlen erklärt eine Sprecherin der Mobilen Opferberatung: “Der leichte Rückgang der Angriffszahlen kann keinen Anlass zur Entwarnung geben, da die rechten Gewalttaten sich noch immer auf sehr hohem Niveau bewegen.”

Der deutliche Unterschied zwischen den Zahlen des Innenministeriums und der Statistik der Mobilen Opferberatung ist einerseits darauf zurückzuführen, dass einige Betroffene aus Angst vor den TäterInnen und negativen Erfahrungen mit Polizei und Justiz keine Anzeige erstatteten. Aber auch die Zählweise des LKA ist teilweise nicht nachvollziehbar. So wurden vom LKA für das 1. Quartal 2007 5 Angriffe bekannt gegeben, im selben Zeitraum registrierte die Opferberatung 24 Angriffe mit rechtem Hintergrund, bei denen in 20 Fällen Anzeige erstattet wurde.
Besonders auffällig ist die Diskrepanz bei den zahlreichen Angriffen auf nicht-rechte Jugendliche. Dort gibt es offensichtlich noch immer eine mangelnde Sensibilität und die Tendenz, solche rechten Gewalttaten als Schlägereien unter Jugendlichen zu verharmlosen, da viele dieser Fälle keinen Einzug in die Statistik des Innenministeriums fanden.

Im Berichtszeitraum konnte die NPD bei den Kommunalwahlen in 7 neue Kreistage einziehen. Ein Großteil der KanditatInnen und Abgeordneten kommt aus dem Umfeld der militanten Kameradschaftsszene, so dass ein temporärer Verzicht auf offene Gewalt im Wahlkampf nur als strategisches Manöver angesehen werden muss.
Auch öffentlichkeitswirksame Aktionen der rechten Szene, jenseits strafrechtlicher Relevanz, haben weiter zugenommen. Die Zusammenarbeit zwischen NPD und militanten Neonazis wurde weiter ausgebaut.
Deshalb muss die Auseinandersetzung mit allen Erscheinungsformen des Rechtsextremismus auch zukünftig intensiv geführt werden.